Uraniabuch
Es enthält (aus heutiger, aber auch
schon aus zeitgenössischer) Sicht, "genießbare" u n d
"ungenießbare" Aspekte, jenes 1970 in Leipzig
(DDR) erschienenes Buch, dem ein Jahr später noch eine Lizenzausgabe in der alten
Bundesrepublik folgte. Auf dem äußeren Umschlag konnte man nur lesen: "Die Zeugen Jehovas. Eine Dokumentation über die
Wachtturmgesellschaft". Kein dazugehöriger Verfasser oder Herausgebername, wie das
ansonsten an dieser Stelle üblich ist. Lediglich im inneren des Buches findet man an
einer Stelle diese Angaben.
Als mir jenes "Kuckucksei" untergeschoben wurde, da hatte es noch einen ganz anderen Titel! Der ursprüngliche Titel sollte lauten: "Theokratie, Illusionen, Fanatismus, Verbrechen". "Verbrechen" selbstredend gegen den DDR-Staat. Die "Bildzeitung" hätte an einem solchen "Revolvertitel" sicherlich ihre helle Freude gehabt. Wenigstens jene Titelgestaltung konnte ich noch versachlichen; ansonsten waren meine Einwirkungsmöglichkeiten begrenzt..
Der vermeintliche Herausgeber jenes Buches ist denn auch alsbald zu DDR-Zeiten "auf Tauchstation" gegangen und in der Öffentlichkeit hat man zu DDR-Zeiten von ihm nichts mehr gehört und gelesen. Erst einige Jahre nach dem DDR-Mauerfall hat er sich wieder bemerkbar gemacht und auch die Sachlage bestätigt, wie es um dieses "Kuckucksei" bestellt ist. Noch heute habe ich ein zwiespältiges Verhältnis zu jenem Pamphlet, dass, ob ich es will oder nicht, dennoch mit meinem Namen verbunden bleibt. Ich glaube aber, mich inhaltlich davon durchaus zwischenzeitlich schon "freigeschwommen" zu haben.
Einleitend war von genießbaren und ungenießbaren Aspekten die Rede. Mit anderen Worten ich verwerfe es nicht ganz. Zu den ungenießbaren Aspekten rechne ich besonders drei Positionen.
a) "Weltverschwörungstheorien", die im Ansatz darin auch enthalten sind. Dazu gehörend auch die leichtgläubige Vermarktung des katholischen Publizisten Fritz Schlegel.
b) die Argumentation in Sachen vermeintlicher "Antikommunismus" die keinesfalls reflektiert, das auch die DDR ein totalitärer Staat war und den Punkt
c) den die Zeugen Jehovas und andere, lieber als a) angeordnet wissen möchten, denn ich aber trotzdem bewusst auf den "dritten Platz" setze. Den unerträglichen, unsensiblen Umgang mit Fakten Jehovas Zeugen und die NS-Zeit betreffend. Insbesondere auch eine nicht zu übersehende zynische Wortwahl.
Zu dem Punkt b. gehören naturgemäß
auch politische Wertungen, an denen dieses Pamphlet ja auch nicht gerade "arm"
ist. Letztendlich auch die DDR-Verbotsgeschichte, die ebenfalls, wie auch anderes
tendenziös dargestellt ist. Kirchliche Kreisen ist an jenem Buch besonders "sauer
aufgestoßen", dass es in der Wortwahl nicht dem entspricht, was man in ihren Kreisen
gewöhnlich zu den Zeugen Jehovas sagt. Dort kritisiert man auch - aber als
"Schlusswort" sagt man (in der Regel) immer, sinngemäß. U n s e r Glaube
wird durch die Zeugen Jehovas in keiner Weise angefochten. Die Zeugen Jehovas mögen doch
lediglich zu unserer Form des Glaubens übergehen, "dann wird alles gut".
Ich bin entfernt davon (ob weit oder nah, darüber kann man
streiten), in das Horn militanter Atheisten mit einzustimmen, die da alle Übel dieser
Welt unter dem Schlagwort "Kriminalgeschichte des Christentums" zusammenzufassen
belieben. Diese These ist nicht meine These. Sie ist mir schlicht zu simpel. Also als
"Kulturkämpfer" verstehe ich mich nicht. Ich anerkenne, dass eine christliche
Sozialisation auch eine akzeptable Ausgangsbasis sein kann. Aber das war's dann auch
schon. Deshalb den Mantel des vergebenden Schweigens über alles auszubreiten, wie es
gewisse kirchliche Kreise gerne hätten.
Nun, meine Herren. Mit mir nicht!
Die Wortwahl des
Uraniabuches ist in etlicher Beziehung nicht die meinige. Die Fakten hingegen sehr wohl!
Herr Wrobel vom Geschichtsarchiv der Wachtturmgesellschaft
zitiert (im Hesse-Buch) interne Äußerungen von mir, die ich schon zu DDR-Zeiten dazu
abgegeben hatte. Diese Äußerungen wurden jedoch meinerseits keineswegs der
"Öffentlichkeit" gegenüber gemacht. Eine nicht unwesentliche Feststellung.
Wrobel vermarktet sie jetzt jedoch in seinem Sinne. Daher besteht Klarstellungsbedarf.
Wrobel äußert: "Manfred Gebhard distanzierte sich später nachdrücklich von diesem
Buch und dessen "Überzeichnungen und Verfälschungen" (Garbe) In seinem Brief
vom 2. Januar 1985 an Dieter Pape in Berlin, der offenbar als Ghostwriter an diesem Buch
beteiligt war, bemerkte Manfred Gebhard: 'Ich habe es an anderer Stelle schon zum Vortrag
gebracht, dass mein Anteil am Uraniabuch hauptsächlich in der Herausgeberschaft besteht
(was nicht mit Verfasser(schaft) identisch ist). Ich sage es Ihnen - den es nicht
zuletzt angeht - geradezu heraus. Beim heutigen Erkenntnisstand würde ich meinen Namen
dazu n i c h t (Hvhbg. i. O., d. A.) hergeben. Ich werfe Ihnen
Geschichtsklitterung (wahrscheinlich aus Liebedienerei Ihren Vorgesetzten gegenüber)
übelster Art vor ... Aber auch Ihre sonstige Zitierweise in Sachen 'Antikommunismus' ist
mir sehr suspekt."
An anderer Stelle zitiert Wrobel dann noch: "Am 26.
Dezember 1984 schrieb Manfred Gebhard: 'Das Uraniabuch verdient eingestampft bzw.
Papiermühlen zugeführt zu werden! Das sind harte Worte, ich bin mir dessen durchaus
bewusst, zumal ich umständehalber auch mit dem Uraniabuch verquickt bin."
Wrobel machte noch eine weitere Anmerkung. Im Anschluss an
das erstgenannte Zitat äußert er die Hoffnung: "Es ist nur zu wünschen, dass die
polemischen Angriffe in Verbindung mit dem Berliner Kongress der Zeugen Jehovas vom 25.
Juni 1933 bald ihr Ende finden werden."
Dies ist die Klitterung von Wrobel bei der Zitierung des
Gebhard-Schreiben an Pape. Gebhard hat seine Vorwürfe gezielt auf die
Antikommunismusargumentation des Pape bezogen. Wrobel hingegen unterlegt, auch in Sachen
Berliner ZJ-Kongress 25. 6. 1933. Garbe redet von Überzeichnungen. Dieses Wort nehme ich
gerne auf. Damit spricht er auch mir aus der Seele. Wenn aber Garbe weiter auch von
Fälschungen redet, geht er zu weit. Garbe und auch Wrobel hat bis heute k e i n e
n ernstzunehmenden Fälschungs n a c h w e i s auf Faktenebene
erbracht! Wie vorher gesagt, differenziere auch ich, zwischen Fakten und ihren
Interpretationen. Gemäß Wrobel bestand eine Fälschung des Uraniabuches darin, dass dort
gesagt worden ist, auf der Bibelforscherveranstaltung vom 25. 6. 1933 in Berlin seien
Rutherford und Knorr mit anwesend gewesen. Wrobel bestreitet dies. Zu dieser eher
Nebensächlichen Kontroverse gilt es festzustellen: Im Vorfeld jener Veranstaltung war
Rutherford sehr wohl in Deutschland und hat die diesbezüglichen Direktiven gegeben bzw.
abgesegnet. Archivalien aus dem Bundesarchiv belegen zudem, dass seine deutschen
Statthalter offerierten, Rutherford wolle selbst gegenüber den Nazibehörden Rede und
Antwort stehen, in Sachen Verbote, die ja bereits vorher auf regionaler Ebene in
Deutschland akut waren. Preußen war diesbezüglich das Schlusslicht.
Ein weiteres Beispiel auf Faktenebene hat Garbe genannt.
Das Uraniabuch zitiert auch den "Spiegel"-Artikel über Erich Frost in vollem
Wortlaut. Der "Spiegel" hatte darin behauptet: "Frost durfte nach seinen
Verhören durch die Gestapo die Haftzelle mit einer Zwangsarbeitsstelle im Emslandmoor
vertauschen, wurde entlassen, kam im Krieg in das Konzentrationslager Sachsenhausen
..." Dieser primär vom "Spiegel" verursachten Darstellung hat das
Uraniabuch nicht widersprochen, also sie sich damit auch zu eigen gemacht. Garbe verweist
nun auf die berüchtigte "Schutzhaft" der Gestapo und stellt dem gegenüber die
These auf: "Tatsächlich hat Frost seit seiner Verhaftung am 21. März 1937 keinen
einzigen Tag in Freiheit zugebracht." Wenn Garbe mit seiner Darstellung recht hat,
dann muss man die Spiegel/Uraniabuch-Darstellung, aus heutiger Sicht, diesen Punkt
betreffend, als Fälschung anerkennen, was hiermit auch getan werden soll.
Im 9. Kapitel wird auch der Fall des
Felix Kersten angesprochen, der einen gewissen Einfluss auf Himmler auszuüben vermochte.
Kersten besaß in Deutschland ein Gut in Hartzwalde. Das Uraniabuch bezeichnet jenes Gut
als "SS-Gut". Der Enkelsohn von Kersten, John Kersten, legt Wert auf die
Feststellung: "Bei dem Gut handelt es sich unter keinen Umständen um ein 'SS-Gut'.
Dieses Gut wurde 1936 (als noch kein Kontakt mit Himmler oder der SS bzw. SA!) existierte
von einem Holzgrosshändler Herrn Hartz gekauft."
Eine weitere Fälschung des Uraniabuches sei auch noch
genannt. Im 10. Kapitel ist davon die Rede, dass die Organisation der Zeugen Jehovas nach
1945 als "Körperschaft des öffentlichen Rechtes" neu gegründet wurde. Die
dazu abgedruckten Texte widerlegen diese Falschdarstellung. Die Gründungsdokumente
besagen klar, dass man an den vereinsrechtlichen Status in der Weimarer Republik wieder
anknüpft. Der hier suggerierte höhere Status, der ja nicht aus eigenem Gutdünken
geschaffen kann, sondern eine entsprechende verwaltungsrechtliche Bestätigung durch die
Staatsorgane bedingt, war weder vor noch nach 1945 existent. Als sachliche Unkorrektheit
ist auch noch der folgende Fakt zu registrieren. Das "Jahrbuch der Zeugen
Jehovas" erschien in den Jahren 1952-1961 nur in Englisch. Die für die Jahre davor
auch nachweisbaren deutschen Ausgaben, gab es in diesem Zeitraum nicht mehr. Im 12.
Kapitel erweckt nun das Uraniabuch den missverständlichen Eindruck, als zitiere es aus
dem "Jahrbuch 1953 der Zeugen Jehovas", einen dortigen Bericht über
Ostdeutschland. Die Nachprüfung ergibt, der zitierte Text ist existent. Er ist im
Wachtturm-Jahrgang 1953, als dortige Referierung des Jahrbuchberichtes vorhanden
(Schweizer Ausgabe des "Wachtturm" 1953 S. 61. Deutsche Ausgabe des Wachtturm
1953 S. 117.) Die damaligen Differenzen der unterschiedlichen Seitenzählung zwischen der
Schweizer Ausgabe des Wachtturms und der deutschen erklären sich so. Das die Schweizer
Ausgabe 1953 noch im DIN A 4 Format erschien; während die deutsche schon auf DIN A 5
umgestellt hatte.
Genannt sei noch ein anderer Aspekt. Der Herr Wrobel vom
Geschichtsarchiv der Wachtturmgesellschaft meint sich auch darüber aufregen zu sollen,
dass jenes Uraniabuch just auch in einer Lizenzausgabe in einem westdeutschen Verlag
erschien. Er glaubt dazu den sinnigen Vergleich bringen zu können "das zu jener Zeit
noch nicht einmal Kochbücher zugleich in Ost- und Westdeutschland erscheinen
konnten." Seiner These ist zu widersprechen. Sie offenbart lediglich seine
Uninformiertheit. Gerade der Hubert Freistühler-Verlag (Schwerte/Ruhr) lebte Anfang der
siebziger Jahre in hohem Masse von Lizenzausgaben (überwiegend des ostdeutschen
Uraniaverlages), die er in der Regel "für'n Appel und Ei" aufzukaufen pflegte.
Die DDR, mit ihrer chronischen Devisenknappheit war froh darüber und schluckte auch die
"Kröte", dass ihr kommerzielles Ergebnis bei diesen Geschäften mal sehr mager
ausfiel. Beispielsweise sei aus einem das Prospekt des Freistühler-Verlages
Frühjahr/Sommer 1970 zitiert. Darin werden als lieferbare Lizenztitel, ostdeutscher
Herkunft genannt:
Rolf Dörge: "Mensch und Natur. Ein Weltbild für
moderne Menschen"
Josef Augusta: "Versteinerte Welt"
Josef Augusta: "An den Lagerfeuern der
Altsteinzeit"
Paul Thiry d' Holbach: "Religionskritische
Schriften"
Hubert Laitko / Wolf-Dietrich Sprung: "Chemie und
Weltanschauung. Standpunkte der marxistischen Philosophie zu einigen philosophischen
Problemen der modernen Chemie"
"Lenin - Mensch, Denker, Revolutionär. Drei Kapitel
über Lenin". Von einem Autorenkollektiv
Georg Klaus / Heinz Liebscher: "Was ist, was soll
Kybernetik".
Man kann weiter gehen und sagen, dass eindeutig
westdeutsche Autoren beim Freistühlerverlag nur in sehr geringem Umfange
nachweisbar waren. Er lebte in hohem Maße von den ostdeutschen Neuerscheinungen und
hat in der Kontinuität, dieser seiner Politik eben auch das Uraniabuch zum Thema Zeugen
Jehovas mit übernommen.
Zusammenfassend: Das was man aus heutiger Sicht als
"Fälschung" im Uraniabuch anerkennen muss (außerhalb der Interpretationsebene
- dass heißt die eigentlichen Fakten betreffend) stellen lediglich unbedeutende
Nebensächlichkeiten, wie die vorgenannten Beispiele dar.
Die Gesamttendenz des Buches, insbesondere sein teilweise
zynischer Ton, ist es was auch mich abstößt. Man sehe sich darin nur beispielsweise die
Ausführungen im Abschnitt "Todeskandidaten" an. Diese Unsensibilität hat schon
viele geschockt und sie macht damit im Gesamteindruck vieles zunichte, was an diesem Buch
sachlich richtig ist. Zusammenfassend kann man sagen. Insbesondere die vorgenommenen
Wertungen von Fakten, sind über weite Strecken inakzeptabel. Sie prägen nachhaltig den
Gesamteindruck. Damit kann man jenes Pamphlet heute nur noch als "Steinbruch"
benutzen; in der Herauskristallisierung interessanter Tatbestände, die dann allerdings
einer anders gearteten Interpretation bedürfen.
Das wäre es, was ich meinerseits dazu festzustellen habe. Aus
gegebenem Anlass auch noch der Text des Briefes an Pape vom 2. 1. 1985. Papebrief
Jenes Buch wird wohl auch weiterhin für Kontroversen
sorgen. Es setzt den mündigen Bürger voraus, der in der Lage ist, sich eine eigene
Meinung zu bilden.
Wer sich dazu nicht fähig fühlt, den rate ich davon ab, hier den Text jetzt weiter zu lesen.
Er findet an anderer Stelle, auch an anderer Stelle dieser Webseite, Informationen, die ich durchaus empfehlen kann. Wie vorbeschrieben gesagt, gehört das Uraniabuch nicht dazu.
Repro:
Seite 362 und 376 aus dem Hesse-Buch mit den zitierten Passagen von Wrobel (überwiegend in den Anmerkungsteil seines Aufsatzes verbannt). In WTG-Sicht nimmt ja das Uraniabuch wie kein zweites, die Rolle des Buhmannes" war. Die parteiische Gegen-Instrumentalisierung der WTG in der Sache, dürfte auch offenkundig sein.
Man vergleiche auch:
Dort insbesondere den Punkt 7
Ergänzend zu empfehlen auch die Studie von Andre Gursky
Technischer Hinweis:
Nachstehender Textreprint, stellt eine "abgespeckte Magerversion" dar. Namentlich enthält er keine Faksimiles. Gerade aber davon "lebte" die Originalausgabe.
Soweit möglich, wurden die Textaussagen der Faksimiles in Abschriftform mit aufgenommen. Wer jedoch unbedingt die Ursprungsvariante wünscht, sei auf entsprechende Bibliotheksexemplare verwiesen. Gelegentlich sind auch Antiquariatsangebote, die sehr wohl via Internet eschließbar sind, zu registrieren.